In den Filmwissenschaften werden insbesondere Themen der Autorperspektive und der visuellen Ebene untersucht, während die unterschiedlichen Übersetzungsformen im Film (Untertitelung, Synchronisation, etc.) bis anhin weniger erforscht wurden. Eine Ausweitung und Neuorientierung der Forschungsgebiete im Bereich Film scheint notwendig: Es geht nicht mehr allein um die Analyse eines originalen Werkes in seinem Entstehungshorizont, sondern um die Aufarbeitung der internationalen Zirkulationsbedingungen der Filme; es geht nicht mehr allein um eine ästhetische Analyse des Bildes, sondern um eine vergleichend semiotische Analyse von Bild und Text, welche die neuen Rezeptionsbedingungen eines Filmes miteinbezieht.
Die filmischen Übersetzungstexte, welche unter strengen Produktionsbedingungen (technisch und ökonomisch) entstehen und neue Einblicke in die Originalwerke erlauben, verlangen von den ÜbersetzerInnen spezifische Fachkenntnisse, die sie von den literarischen

ÜbersetzerInnen unterscheiden können. ÜbersetzerInnen von Filmtexten gehören zu den Filmschaffenden, deren Arbeitsweise und Sozialstatus auch anhand der (wenigen) Filme untersucht werden kann, in denen sie selber als Figuren im Film auftreten (z.B. in Singing in the Rain; Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs; Hollywoo; etc.).
Untertitelungen und Synchronisationen geben einerseits eine Interpretation des Originals und sind zugleich Ausdruck der unumgänglichen Koordinierung von Wort und Bild. Die Untersuchung der Synchronisation muss im Kontext der Überlegungen zur Mündlichkeit im Ton-‐, ja sogar Stummfilm (Live-‐Übersetzungen im Projektionsraum) geführt werden, da die Stimme den Text im Rezeptionsraum immer auch soziokulturell prägt und die ästhetische Interpretation des Films mit beeinflusst.
Die Geschichte des Films – und anderer Medien, die Bild und Text verbinden, wie z.B. Fernsehen, Videospiele und Internet – kann an der Entwicklung der Synchronisation und Untertitelung abgelesen werden. Die Tagung soll erlauben, diese unterschiedlichen Aspekte und Stufen der Thematik sichtbar zu machen: Entwicklung der technischen Möglichkeiten (Einfluss auf Produktion und Vertrieb der Filme durch die Einführung von Postsynchronisation, magnetischem oder digitalem Ton, 3D-‐Filmproduktionen), Geschichte der Aussagen zum Ton im Film, soziale und nationale Entwicklung(en) der Filmrezeption (Praxis der Kinobetreiber; Kult der Originalversion; das Verfahren des „Voice-‐Over“ in Osteuropa, die japanischen „Benshi“ etc.), ästhetische Entwicklungsstufen (Streichung der Untertitel in den 20er Jahren aus künstlerischen Überlegungen; Entstehung der „parallelen Versionen“, d.h. in verschiedenen Sprachen gedrehten Filmen, in den 30er Jahren; Integration von Untertitel oder Synchronisation bei der Originalproduktion; Verfremdungstechniken etc.) Alle diese Aspekte sollen auch auf theoretischer und praktischer Ebene untersucht werden, insbesondere in Bezug auf spezifische Projektionsbedingungen (Film-‐Festivals, etc.) oder in Bezug auf die unterschiedliche Wirkung von gesprochener und geschriebener Sprache im Bild bei unterschiedlichen Äußerungsbedingungen.
Ein weiterer Aspekt der Tagung soll der vergleichenden Analyse konkreter Beispiele „übersetzter Filme“ gewidmet werden: Wie gehen FilmübersetzerInnen vor? Wie unterscheiden sich verschiedene Versionen eines Films in verschiedenen Sprachen (schon im Titel)? Welchen Einfluss haben die unterschiedlichen Übersetzungen auf die Lektüre, Interpretation und Rezeption des Films in den verschiedenen Kulturräumen? Die literarischen und sprachwissenschaftlichen Fallanalysen sollen einen Beitrag zur theoretischen Diskussion der Übersetzung im audiovisuellen Bereich leisten.
Diese internationale Tagung nimmt die ebenfalls für Frühling 2013 geplante Publikation der Zeitschrift Décadrages (Nummer 23-‐24), welche der gleichen Thematik gewidmet ist, zum Anlass, den Austausch zwischen den Disziplinen (Filmgeschichte, Sprachwissenschaft, Medientheorien, Übersetzungswissenschaft etc.) zu fördern. Dabei sollen die hermeneutischen, semiotischen und historischen Bedingungen und Möglichkeiten der Übersetzungspraxis im Kontext von schriftlicher/mündlicher Sprache und bewegtem Bild untersucht und Filmproduktionen aus verschiedensten Bereichen, Sprachen und Gattungen (Dokumentarfilm, Animationsfilm, Experimentalfilm, etc.) einbezogen werden.
Wir bitten Sie, uns Ihre Vorschläge für einen Beitrag mit einem vorläufigen Titel, einem Abstract von ca. 400 Wörtern und Ihrer kurzen Bio-‐Bibliographie bis spätesten 1.12.2012 an folgende Adresse zu schicken:
Alain.Boillat@unil.ch oder Irene.WeberHenking@unil.ch
Bitte geben Sie Ihre Vortragssprache und Ihre Kenntnisse in der anderen Tagungssprache (Französisch und Deutsch) an.
Die Publikation der Tagungsbeiträge ist geplant.